Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

IASS begleitet Kommunen bei Beteiligungsprozessen

03.06.2022

Das Team von Losland, eine Kooperation des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) mit dem Verein Mehr Demokratie, unterstützt Kommunen dabei, ihre Zukunft nachhaltig zu gestalten. Dafür entwickelt das Team zusammen mit den Kommunen individuell angepasste Beteiligungsprozesse - inspiriert von unterschiedlichen Bürgerbeteiligungsformen. Der IASS-Politikwissenschaftler Daniel Oppold begleitet den Prozess wissenschaftlich seit dem Jahr 2021. Im Interview erklärt Oppold wie das Projekt abläuft, was ein Zukunftsrat ist und das Ziel.

Daniel Oppold
Daniel Oppold arbeitet seit Oktober 2016 am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) im Forschungsprojekt „Ko-Kreation und zeitgemäße Politikberatung".

Beim Projekt Losland werden Kommunen begleitet, mit mehr Bürgerbeteiligung den Aufbruch zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu schaffen. An welchem Punkt steht Losland jetzt?
Daniel Oppold: Mit Losland begleiten wir zehn deutsche Kommunen dabei, passgenaue Bürgerbeteiligungsprozesse aufzusetzen zur Fragestellung: „Wie können wir hier bei uns vor Ort eine „enkeltaugliche“ Zukunft gestalten?“ Da es rund 11.000 Kommunen in Deutschland gibt, wären wir vermutlich überschwemmt worden, hätten wir eine Ausschreibung gemacht. Daher sind wir andersherum vorgegangen: Wir haben recherchiert nach Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern mit einer „Beteiligungsagenda“. Nach solchen, die bereits erste Erfahrungen mit Beteiligung gesammelt haben, gerade neu in ihr Amt gekommen sind oder einfach Zukunftsthemen angehen wollen. So haben wir mittlerweile unsere zehn Kommunen gefunden. Aktuell läuft noch die Planungsphase in den meisten Kommunen, aber die ersten Losland-Zukunftsräte finden demnächst statt.

Was ist denn ein „Zukunftsrat“?
D. O.:  Der Zukunftsrat ist der Kern unserer Beteiligungsprozesse. Diese Räte sind inspiriert vom Modell der Vorarlberger Bürgerräte. Aber wir haben sie mit einem Eigennamen versehen, weil sie sich inhaltlich um die Zukunft der Kommunen drehen – und weil mittlerweile viele Beteiligungsprozesse „Bürgerrat“ heißen. Im Mittelpunkt steht dabei die Gruppenarbeit von rund 20 Personen, die per Losverfahren aus dem Melderegister ausgewählt wurden. Sie erarbeiten im Auftrag des Stadt- oder Gemeinderates Empfehlungen zu einer Frage, die zuvor formuliert wurde. Mit dem Losprinzip werden Personen jenseits der „üblichen Verdächtigen“ einbezogen. Und durch eine professionelle Moderation wird sichergestellt, dass ihre Sichtweisen und Ideen einfließen. Fast alle Losland-Zukunftsräte sind schon terminiert: der Erste findet im Juni statt (Flecken Ottersberg am 15. Juni 2022. Anm. Redaktion).

In welcher Form sind diese Beteiligungsprozesse mit der Lokalpolitik verknüpft?
D. O.:  Voraussetzung für die Teilnahme war, dass sich die Kommunen mit einem Ratsbeschluss für die Teilnahme an Losland entschieden haben. In diesen Beschlüssen haben die Stadt- und Gemeinderäte meist schon festgelegt, welchen Schwerpunkt der Beteiligungsprozess haben soll. Die Leitfrage zur enkeltauglichen Zukunft, ist sehr weit gefasst und wird von jeder Kommune zu einem anderen Thema oder -komplex bespielt.

Was sind denn das für Themen?
D. O.: Durchweg Zukunftsthemen – das kann von eher sozialen Themen wie der Entwicklung der Qualität des Zusammenlebens und des Miteinanders reichen bis zu ganz konkreten Dorfumgestaltungen. Aber auch Fragen nach dem lokalen Umgang mit großen Herausforderungen wie etwa demographischen Veränderungen oder dem Klimawandel sind dabei. Manche Kommunen werden konkret nur eine Fragestellung in den Blick nehmen. Andere Kommunen stellen dem Zukunftsrat offenere Fragen und lassen mehr Themen zu.

Wie lange dauert so ein „Zukunftsrat“ denn?
D. O.: Der Zukunftsrat dauert in allen Kommunen nur eineinhalb bis zwei Tage – außer, wenn noch eine „Lernphase“ vorgeschaltet wird. Meist beginnen sie am Freitagnachmittag und tagen den ganzen Samstag - dann stehen die Empfehlungen. Das stellen unsere Moderatoren sicher, die einen ko-kreativen Austauschraum schaffen, in dem sofort Tacheles gesprochen wird und schließlich eine gemeinsame Erklärung entsteht. Wichtig ist jedoch, dass der Prozess damit nicht vorbei ist: Die Ergebnisse des Zukunftsrates werden kurz danach in einer öffentlichen Veranstaltung der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister sowie dem Gemeinderat übergeben. Auch dies läuft interaktiv ab zwischen den Teilnehmenden des Zukunftsrates und den Lokalpolitikerinnen und -politikern, ebenso Personen aus der Verwaltung sowie alle Interessierten aus der Bürgerschaft können teilnehmen.

Unterscheidet sich das Vorgehen in den Gemeinden?
D. O.: Ja, nur ein Beispiel: In Ottersberg sollen Kinder mitbestimmen. Sie einzubeziehen ist schwieriger, weil sie im Zukunftsrat der Erwachsenen nicht gut mitmachen könnten. Daher gibt es parallel zum Zukunftsrat noch eine separate Zukunftswerkstatt mit Schülerinnen und Schülern der vierten Klasse einer Ottersberger Grundschule. Sie werden unter fachkundiger Anleitung von Kinder-Beteiligungsexperten zu den gleichen Fragstellungen „tagen“ und ihre Empfehlungen stehen dann gleichwertig neben denen des Rats der Erwachsenen. Wir haben so das Prozessdesign immer den jeweiligen Anforderungen angepasst. Es kann genauso eine vorgelagerte Informationsveranstaltung stattfinden, wo etwa der Gemeinderat eine Planung oder ein Konzept vorstellt – und damit den Zukunftsrat mit Fakten versorgt.

Können noch weitere Kommunen zum aktuellen Losland-Verfahren dazustossen?
D. O.: Leider nein, das Losland-Projekt ist zeitlich begrenzt und die Bundeszentrale für politische Bildung finanziert die Arbeit mit zehn Gemeinden, die wir bereits gefunden haben.

Was genau ist denn die Zielsetzung von Losland?
D. O.: Es gibt zwei Ziele: Einmal vor Ort wirklich etwas zu bewegen – in Bezug auf die Fragestellung der jeweiligen Gemeinde wollen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern einen Fortschritt erzielen zu erzielen mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das zweite Ziel ist, dass wir die Erfahrungen aus diesen zehn Prozessen, die nun parallel den Sommer und Herbst über laufen, systematisch sammeln und diese mit vorangegangen Erfahrungen von anderen Beteiligungsprozessen vergleichen. Wenn die Prozesse abgeschlossen sind wollen wir gemeinsam mit allen Beteiligten Empfehlungen für die Landes- und Bundespolitik formulieren, um die Rahmenbedingungen für kommunale Beteiligung in Deutschland zu verbessern.

Welche Rolle hat das IASS an dem Projekt?
D. O.: Für das IASS bin ich in die Arbeit des Kernteams eingebunden und berate die Kommunen zusammen mit den Losland-Kolleginnen und Kollegen von Mehr Demokratie. Zugleich bin ich verantwortlich für den Forschungsteil: Mit weiteren Kolleginnen und Kollegen vom IASS analysiere ich unterschiedliche Aspekte der Beteiligungsprozesse und führe dazu beispielsweise Umfragen unter den Beteiligten durch und interviewe die Bürgermeisterinnen und -meister. Am Ende werden diese Erkenntnisse die Empfehlungen an die Bundes- und Landespolitik empirisch untermauern.
 
Worin liegt das Besondere oder Neue am Losland-Verfahren?
D. O.: Unser Vorgehen ist nicht wirklich neu. Wir stehen auf den Schultern von vielen erfolgreichen Beteiligungsprozessen – insbesondere Bürgerräten – und greifen auf deren Wirkungslogiken und Prozesselemente zurück. Wichtig ist uns aber, nicht mit einem Schema F in den Kommunen aufzuschlagen, weil jede Kommune ihre eigenen Themen und Beteiligungserfahrungen hat. Wir brauchen diesen Kontext, um die Zukunftsräte so in die Gegebenheiten vor Ort einzubetten, dass sie eine bestmögliche Wirkung entfalten.

Mehr über dieses Projekt und die einzelnen Kommunen erfahren Sie auf der Losland-Webseite.

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