Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Wo bleibt die Koalition der Willigen für grünen Stahl?

24.09.2023

Charlotte Unger

Dr. Charlotte Unger

charlotte [dot] unger [at] rifs-potsdam [dot] de
Die Produktion von Stahl ist energieintensiv.
Die Produktion von Stahl ist energieintensiv.

Dieser Artikel wurde zuerst auf der Website des Amerikanisch-Deutschen Instituts (agi) veröffentlicht.

Die 2020er Jahre gelten bereits jetzt als ein Jahrzehnt der vielen Krisen. Trotz, oder vielleicht gerade auf Grund ihrer verheerenden Auswirkungen, haben die Krisen jedoch auch unsere politischen Debatten verändert. So haben wir zum Beispiel überall auf der Welt begonnen, über „Transformation“ nachzudenken: Um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen, müssen wir über kleine Anpassungen, Effizienzsteigerungen und das „Abgreifen der niedrig hängenden Früchte“ hinausgehen und unsere derzeitige Lebensweise grundlegend ändern. Damit hat die Diskussion hat das Zentrum unserer Volkswirtschaften erreicht, vor allem jene Sektoren, deren Dekarbonisierung wir vor zehn Jahren noch für fast unmöglich hielten, wie etwa die Stahlindustrie.

Der Stahlsektor ist ein grundlegender Baustein der industriellen Entwicklung eines Landes. In Autos, Kühlschränken, Gebäuden, Infrastrukturen oder militärischer Ausrüstung ist Stahl ein integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens. Neben seinem wirtschaftlichen Wert macht dies den Stahlsektor auch politisch sensibel und kulturell bedeutsam. Er ist  stark mit anderen Sektoren und verschiedensten Lieferketten verflochten.

Internationaler Handel und Wettbewerb sind eine zentrale Dimension des Stahlsektors, da etwa 25 Prozent der weltweiten Stahlproduktion exportiert werden. Die fünf größten Rohstahlproduzenten sind China (ca. 54 Prozent), Indien (ca. 6,6 Prozent), Japan (ca. 4,7 Prozent), die Vereinigten Staaten (ca. 4,3 Prozent) und Russland (3,8 Prozent). Deutschland ist der größte Stahlproduzent in der EU. Auf Grund des starken internationalen Wettbewerbs sorgen sich viele Länder um sinkende Investitionen die so genannte „Carbon Leakage“: . Stahlproduktion könnte in Länder mit günstigeren Bedingungen (z. B. für Investitionen, Umweltvorschriften, Subventionen) verlagert werden. Diese Situation, zusätzlich zu den technischen Herausforderungen, die mit der Dekarbonisierung einhergehen, machen aus dem Stahlsektor einen „hard-to abate“ oder schwer reduzierbaren Sektor in Hinblick auf seine Treibhausgasemissionen. Insgesamt ist die Stahlindustrie nicht auf dem Weg zu einem Netto-Null-Emissionsszenario bis 2050. Die Gesamtemissionen sind aufgrund der höheren Stahlnachfrage gestiegen, und die Emissionsintensität hat stagniert. Der Grund dafür ist  ein Mangel an Fortschritten bei grundlegenden, transformativen Veränderungen und einer tiefgreifenden Dekarbonisierung.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass die Dekarbonisierung nicht unmöglich ist. Technologische Lösungen wie die verstärkte Nutzung von Metallschrott, die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien und (grünem) Wasserstoff sowie die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) können den Stahlsektor einer Netto-Null-Produktion näher bringen und sind bereits verfügbar oder in der Entwicklung. Dabei sind jedoch nicht alle Technologien sind bereits marktreif und können in großem Maßstab eingesetzt werden. Ihre Einführung erfordert umfangreiche staatliche und private Investitionen und Förderstrukturen.

Der Kampf um die Dekarbonisierung der Schwerindustrie muss vor dem Hintergrund einer internationalen Klimapolitik gesehen werden, in der sich die Länder mit sehr unterschiedlichem Tempo bewegen und die zu einem Flickenteppich von Ansätzen geführt hat. Außerdem gibt es immer mehr Überschneidungen mit anderen Politikbereichen, allen voran dem internationalen Handel. Viele der internationalen Systeme, Strukturen und Verfahren, z. B. die Welthandelsorganisation (WTO) oder das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC), haben jedoch Schwierigkeiten, mit dem sich ständig verändernden Umfeld mitzuhalten.

Die Vereinigten Staaten, die EU und Deutschland haben auf diese Situation mit minilateralen Initiativen oder so genannten Klimaclubs reagiert. Sie ziehen es vor, ein politisches Abkommen mit wenigen oder sogar nur zwei Ländern oder Regionen zu beginnen. Später wollen sie es als internationale Lösung anbieten, der sich andere Länder anschließen können, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen[1].

Ein Beispiel für einen solchen „Club“ ist die geplante globale Vereinbarung über nachhaltigen Stahl und nachhaltiges Aluminium (Global Arrangement on Sustainable Steel and Aluminum, kurz GASSA). Dieses mögliche Abkommen ist besonders interessant, weil es ursprünglich nicht klimapolitisch motiviert war, sondern aus einem Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der EU entstanden ist. Im Jahr 2018 verhängte der damalige US-Präsident Donald Trump Zölle auf US-Importe von Stahl und Aluminium (25 Prozent bzw. 10 Prozent) mit der Begründung, dass die Metallimporte die nationale Sicherheit bedrohten, und stützte sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1962: „Section 232 / Trade Expansion Act“. Dies führte zu einem Konflikt mit der EU, die, als keine bilaterale Ausnahmeregelung ausgehandelt wurde, mit Vergeltungsmaßnahmen in Form von EU-Zöllen auf US-Ausfuhren und einem Handelsstreit vor der WTO reagierte. Unter der nachfolgenden US-Regierung von Joe Biden beendeten die Vereinigten Staaten und die EU den Streit und einigten sich auf ein Kontingent für europäische Einfuhren, die nicht mit Sanktionen belegt werden sollten. Das Abkommen sieht jedoch nur eine vorübergehende Aussetzung der Zölle vor. Bis Oktober 2023 wollen beide Parteien eine dauerhafte Lösung in Form des GASSA-Abkommens finden.

Der Kampf um die Dekarbonisierung der Schwerindustrie(n) muss vor dem Hintergrund einer internationalen Klimapolitik gesehen werden, in der sich die Länder in sehr unterschiedlichem Tempo bewegen und die zu einem Flickenteppich von Herangehensweisen geführt hat.

GASSA soll  sich sowohl mit der Dekarbonisierung der Stahl- und Aluminiumindustrie als auch mit deren Produktionsüberkapazitäten auf dem Weltmarkt befassen. Dies beinhaltet die Aushandlung von Standards für die Kohlenstoffintensität, die Unterstützung der Produktion von grünem Stahl und Aluminium und die Schaffung eines grünen Stahl- und Aluminiummarktes. Die Partner würden auf "nicht marktkonforme Praktiken" verzichten und Möglichkeiten prüfen, gegen solche Praktiken anderer Länder vorzugehen. Diese Klausel zielt auf Chinas Einfluss auf den Stahlmarkt ab. Sobald das Abkommen verhandelt ist, soll es als grüner Stahlclub fungieren, indem weitere Länder beitreten können.

GASSA verspricht die Gelegenheit, einen sicheren Raum für den Handel mit sauberem Stahl und den Schutz grüner Investitionen zu schaffen. Zum jetzigen Zeitpunkt, nur wenige Monate vor Ablauf der Frist, sind die Verhandlungen jedoch festgefahren. Können wir noch auf eine Einigung im Oktober 2023 hoffen, und welche Faktoren beeinflussen diese Verhandlungen? Hierzu lassen sich sechs Hauptfragen diskutieren.

Sechs Faktoren, die die Verhandlungen über GASSA beeinflussen

Erstens: Was für eine Art von Abkommen soll GASSA sein? Rechtlich gesehen können wir zwischen internationalen Verträgen und informelleren Vereinbarungen unterscheiden, die in jeder Region durch nationale Vorschriften ergänzt werden. Während ein Vertrag eine starke und verbindliche Form der Zusammenarbeit darstellt, ist sein Entscheidungsprozess sehr langwierig und würde die Zustimmung des US-Kongresses und der EU-Gremien und -Mitgliedstaaten erfordern. Daher scheint eine informellere Lösung, zum Beispiel in Form eines „Memorandum of Understanding“ wahrscheinlich. Wichtiger ist jedoch vor allem welche Maßnahmen und Instrumente in der Vereinbarung enthalten sein werden. Hier gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: von einer Definition, was sauberer Stahl ist (und was nicht), bis hin zu einem gemeinsamen Emissionsstandard für die Kohlenstoffintensität von Stahl und Aluminium. Zölle, eine Grenzsteuer, öffentliche Aufträge, ein Verbot von „schmutzigem“ Stahl oder Projektfinanzierung können die Emissionsstandards ergänzen.

Problematisch ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten und die EU  zwei gegensätzliche Ansätze für die Gestaltung von GASSA vorgeschlagen haben. Das US-Modell sieht im Wesentlichen einen vom Produktionsprozess unabhängigen Standard vor, der auf der durchschnittlichen Kohlenstoffintensität eines Landes basiert. Nicht-Mitglieder mit einer emissionsintensiveren Stahlproduktion müssten bei Importen in GASSA-Mitgliedsländer einen Zoll zahlen. Die EU hingegen möchte, dass sich die Vereinigten Staaten an den EU-Kohlenstoff- Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM) anschließen  oder ein ähnliches Instrument einführen. Sie befürwortet auch separate, technologiespezifische Bilanzierungsansätze (z.B. schrottbasierte vs. Primärstahl). Beide Vorschläge sind mit politischen und technologischen Vorbehalten behaftet. Die technische Harmonisierung zwischen beiden Ansätzen ist komplex und würde viel Zeit in Anspruch nehmen.

Zweitens: Welche wirtschaftlichen Vorteile erwarten die Verhandlungspartner von GASSA? Für die EU wäre die dauerhafte Aufhebung der „Section 232-Zölle“ ein wichtiger Schritt. Aber auch auf amerikanischer Seite haben Experten errechnet, dass sich die Section 232-Zölle negativ auf die Wirtschaft auswirken, weil sie die Preise für inländische Hersteller und die nachgelagerte Industrie erhöht haben. Abgesehen von den direkten potenziellen Vorteilen könnte die Schaffung einer Freihandelszone einen Wettbewerbsvorteil für kohlenstoffarmen Stahl bringen, die Kapazität für sauberen Stahl fördern und gleichzeitig die „schmutzigen“ Überkapazitäten herausfiltern, so dass, zumindest in der Theorie, „sauberer“ Stahl billiger und „schmutziger“ Stahl teurer wird. Dies könnte den Anstoß für die Schaffung eines Marktes für sauberen Stahl unter den GASSA-Mitgliedern geben und zu einem gewissen Zeitpunkt dazu beitragen, die Verlagerung von Kohlenstoff und Investitionen zu verhindern. Die historischen Erfahrungen mit Eingriffen in den Stahlhandel haben jedoch gezeigt, dass ihre Auswirkungen komplexer sind. Etwa könnten Metallpreiserhöhungen nicht verhindert werden, da es einige Zeit dauern würde, bis es gelänge die Importe bestimmter Stahlsorten durch die Produktion der GASSA-Mitglieder zu ersetzen. Außerdem würden möglicherweise teure Vergeltungsmaßnahmen aus China drohen.

Drittens: Mit welchen innenpolitischen Maßnahmen muss GASSA in Einklang gebracht werden? Die EU hat ihre neue Vorzeige-Klimapolitik, den EU-CBAM, als ihr Hauptbedenken in den GASSA-Verhandlungen genannt. Der EU-Grenzausgleichsmechanismus zielt auch auf die Stahlimporte in die EU ab und erhebt eine Gebühr, die sich nach dem im Produkt enthaltenen Kohlenstoff richtet. Ab Oktober 2023 fallen die US-Stahlunternehmen unter die Pilotphase des CBAM der EU. Es ist noch unklar, was ein Stahlhersteller mit einer durchschnittlichen Kohlenstoffintensität in den USA im Jahr 2028, wenn die Zahlungsverpflichtungen beginnen, zu zahlen hat. Bisher hat sich die US-Stahlindustrie nicht sehr besorgt gezeigt, möglicherweise weil die US-Stahlproduktion bereits weniger kohlenstoffintensiv ist als die der EU. Außerdem würde nur ein recht kleines Segment der US-Ausfuhren unter die Verordnung fallen. Dennoch könnten sich die GASSA-Verhandlungen verzögern, weil ein Großteil der Kapazitäten der verantwortlichen Entscheidungsträger damit beschäftigt ist, den CBAM der EU bis Oktober 2023 zum Laufen zu bringen. Die EU-Politiker müssten sicherstellen, dass die GASSA technisch mit dem CBAM kompatibel ist und nicht beispielsweise den dort gleichzeitig festgelegten Kohlenstoffpreis gefährdet. Aus politischer Sicht wäre es daher einfacher, den EU-CBAM einzuführen und zu betreiben, bevor man sich auf ein neues System einigt.

Es bleibt die Frage offen, wie die GASSA-Maßnahmen um- und durchgesetzt werden sollen, um einen wesentlichen Wert für die Umwelt zu schaffen, aber auch, wie ein bilaterales Abkommen in die beabsichtigte globale Lösung umgewandelt werden kann.

Viertens: Welche Strukturen im Politikreislauf beeinflussen die Verhandlungen zu GASSA? Die Liste der innenpolitischen Faktoren, die die Verhandlungen über die GASSA beeinflussen, ist potenziell sehr lang, aber zwei Beispiele können hier hervorgehoben werden. In den Vereinigten Staaten wird die öffentliche Debatte mittlerweile von den Präsidentschaftswahlen im November 2024 dominiert. Der Ausgang dieser Wahlen beeinflusst nicht nur die Zukunft von GASSA, der Wahlkampf selbst wirkt sich auch auf die Entscheidungsfreudigkeit aus. Sowohl die Regierung als auch die republikanische Opposition versuchen, heikle Themen wie Kostensteigerungen, Inflation oder Bestimmungen, die bei Interessengruppen und der Öffentlichkeit Ängste vor Verlusten und Nachteilen wecken, zu vermeiden. So könnte die Regierung Biden zögern, die Stahlarbeitskräfte in den Bundesstaaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania zu verärgern, die für seine Wiederwahl entscheidend sind. Obwohl die rotierenden EU-Präsidentschaften keine vergleichbare Macht haben, werden 2023/24 einige Wahlen stattfinden: zum EU-Parlament, in mehreren EU-Mitgliedstaaten und ein/e neue/r EU-Kommissionspräsident/in wird ernannt  Änderungen hier könnten auch hier eine weniger positive Einstellung gegenüber Klimathemen mit sich bringen.

Fünftens: Welche internationalen Entwicklungen beeinflussen die Verhandlungen zu GASSA? Der Mangel an Fortschritten bei der Eindämmung des Klimawandels erhöht den Druck auf die Industrie. Was jedoch wahrscheinlich einen stärkeren Impuls für Fortschritte bei den GASSA-Verhandlungen auslöst, ist Chinas generelle Dominanz in der Stahlproduktion, in vielen der verarbeitenden und nachgelagerten Sektoren sowie in den Lieferketten für saubere Technologien. Vor allem die USA, aber auch viele Stimmen in der EU glauben, dass Chinas Methoden zur Förderung seines Stahlsektors unfaire Vorteile schaffen und zu weltweiten Überkapazitäten und niedrigeren Preisen für chinesischen Stahl führen. Die GASSA-Verhandlungen sind Teil einer komplexen und politisch aufgeheizten geopolitischen Situation, die durch zahlreiche Krisen gekennzeichnet ist:  COVID-19, die russische Invasion in der Ukraine, und die darauf folgenden Lebensmittel- und Energiekrisen und viele bilaterale diplomatische Auseinandersetzungen.. Auch die globale Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien, Wasserstoff, CCS-Technologien und Metallschrott spielt eine entscheidende Rolle. Generell verfolgen die Vereinigten Staaten gegenüber China einen sehr viel offensiveren Ansatz, während in der EU und in Deutschland die Regierungen und Industriekonzerne eher zögerlich damit umgehen.

Sechstens: Wie treiben die Interessengruppen des Stahlsektors diese Verhandlungen voran oder halten sie auf? Im Stahlsektor gibt es viele Stakeholder:. Umwelt- und Sozialverbände, Gewerkschaften, die Interessenverbände der Stahlunternehmen oder die Automobil- und Bauindustrie. Was die Industriegruppen in den USA und der EU gemeinsam haben, ist ihre Forderung nach klaren und idealerweise harmonisierten Dekarbonisierungsregeln, z.B. für Mess-, Berichts- und Verifizierungssysteme. Ein Haupthindernis für die GASSA-Verhandlungen auf beiden Seiten des Atlantiks ist jedoch die Sorge, dass die Kohlenstoffstandards ungerecht sein könnten. Die Regionen haben eine unterschiedliche Ausgangslage. In der EU basiert die Stahlproduktion überwiegend auf der Hochofentechnologie (61 Prozent der Rohstahlproduktion). In den Vereinigten Staaten nutzen mehr Unternehmen die  deutlich emissionsärmere Elektrolichtbogenofen-Technologie (68 Prozent, gegenüber 32 Prozent Hochofentechnologie). Elektrolichtbogenofen verwenden hauptsächlich Stahlschrott und können durch den Einsatz erneuerbarer Energien noch sauberer werden. Die Konzerne der Stahlindustrie streiten darüber, ob ein einheitlicher, auf der Kohlenstoffintensität basierender Standard (unabhängig von der angewandten Technologie) oder ein Ansatz mit gleitender Skala/mehreren Standards (der zwischen Schrott und Primärstahl unterscheidet) verwendet werden soll. Es ist davon auszugehen, dass viele US-Stahlproduzenten ihre GASSA-Verhandler unter Druck setzen, um den Einheitsstandard zu verfolgen, während die EU-Industrie dies zu verhindern sucht.

Die Diskussion ist politisch heikel, weil sie mit wahrgenommener Fairness und Verteilungsfragen zusammenhängt. Einige Gruppen argumentieren beispielsweise, dass der „Aufwand“, der hinter jeder Tonne reduzierter Emissionen steht, belohnt werden sollte. Bei einem solchen Ansatz würde ein Hochofentechnologie-Hersteller, der eine relativ saubere Produktion erreicht, die aber immer noch schmutziger ist als eine Elektrolichtbogenofen-Anlage, belohnt werden. Wären die GASSA-Standards mit finanziellen Vorteilen verbunden, z. B. mit dem Anspruch auf staatliche Subventionen oder Beschaffungsprogramme, könnte es zu starken Verteilungseffekten kommen. Die Situation wird noch komplexer, wenn man die verschiedenen nachgelagerten Industrien berücksichtigt. Insgesamt waren die Stahlindustriekonzerne in den Vereinigten Staaten und der EU in der Vergangenheit sehr erfolgreich, wenn es darum ging, die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Was ist ein wahrscheinliches Ergebnis im Oktober?

Die Diskussion zeigt, dass noch viele Fragen zur  Gründung eines GASSA-Clubs komplex und ungelöst bleiben.  Auch dieser Blog-Beitrag betrachtet nur die Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU. Es steht noch nicht fest, wie die GASSA-Maßnahmen um- und durchgesetzt werden können, um einen substanziellen Klimaschutzbeitrag zu leisten. Vor allem bleibt jedoch unklar,  wie die USA und die EU das bilaterale GASSA-Abkommen in eine globale Lösung, d.h. einen Club,  umwandeln wollen.. Wie sollen etwa wichtige Partner aus dem Globalen Süden eingebunden werden, wo in Zukunft große Mengen an Emissionen zu erwarten sind und Handelsbeziehungen für Stahl, Wasserstoff und stahlbasierte Produkte stattfinden werden?

Bei den GASSA-Verhandlungen sind mehrere Ergebnisse denkbar. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass die Verhandlungen bis nach den Wahlen in den USA und der Einsetzung einer neuen EU-Kommission verschoben und Mitte 2025 wieder aufgenommen werden. Die EU und die Vereinigten Staaten könnten die derzeitige Quotenregelung für die Zölle nach Abschnitt 232 vorübergehend verlängern. Ein anderes, günstigeres Szenario für die Klimapolitik wäre, dass sich die Partner zumindest auf ein grobes Rahmenabkommen einigen. Das würde der Welt signalisieren, dass die USA und die EU ernsthaft entschlossen sind, strenge Regeln für die Dekarbonisierung von Stahl festzulegen. Das negativste Szenario wäre schließlich, dass es zu keiner Einigung kommt und die Section 23-Zölle zusammen mit den Vergeltungsmaßnahmen der EU wieder eingeführt werden. Hier droht ein erneuter Handelskonflikt. zu einem Zeitpunkt, an dem Kooperation und Solidarität unter Verbündeten besonders nötig sind.[2] Die internationale Klimakonferenz der Vereinten Nationen im November/Dezember (COP 28 in Dubai) bringt vielleicht einen Hoffnungsschimmer. Viele Regierungen betrachten diese Veranstaltung als Gelegenheit, wichtige - und potenziell prestigeträchtige - Ankündigungen zu machen, und daher wäre dies ein idealer Zeitpunkt für die Vereinigten Staaten und die EU, um einen GASSA-Club ins Leben zu rufen.

[1] Sektorale Initiativen, Clubs und Pledges haben in den letzten Jahren in der klimapolitischen Landschaft zugenommen; Beispiele sind der von Deutschland geführte G7 Climate Club oder der Global Methane Pledge.

[2] Dieser Aufsatz basiert auf empirischen Informationen, die die Autorin in zahlreichen Interviews, Gesprächen und auf Fachveranstaltungen gesammelt hat.

Gefördert durch den DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.

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