Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Was muss die Klima- und Energiepolitik aus der Corona-Pandemie lernen?

16.04.2020

Rainer Quitzow

Prof. Dr. Rainer Quitzow

rainer [dot] quitzow [at] rifs-potsdam [dot] de
Patient Europa: Wieviel Solidarität werden die Staaten bei der Bewältigung der Krise zeigen?
Patient Europa: Wieviel Solidarität werden die Staaten bei der Bewältigung der Krise zeigen?

Auf die Corona-Pandemie war unsere Gesellschaft nicht vorbereitet. Auch das hat zu der Tragweite der aktuellen Krise beigetragen. Umso wichtiger ist es, Lehren aus der aktuellen Situation zu ziehen, auch für den Bereich der Klima- und Energiepolitik. Im Folgenden geschieht  dies anhand der Begriffe der Vulnerabilität, der Resilienz und der Solidarität.

Vulnerabilität: Durch den Klimawandel wird unsere Gesellschaft zunehmend fragil

Unser hocheffizientes und global vernetztes Wirtschaftssystem hat uns über die vergangenen Jahrzehnte in Europa einen enormen Wohlstand beschert. Die Corona-Pandemie hat nun gezeigt, wie vulnerabel dieses System ist und wie schnell die geglaubte Stabilität unserer Gesellschaft erschüttert werden kann. Das Corona-Virus hat sich nicht nur sehr rasant über den gesamten Planeten ausbreiten können, es hat auch weitreichende Wirkungen entfaltet, die weit über das Gesundheitssystem hinausgehen.  Die Corona-Pandemie hat in kürzester Zeit eine schwere Wirtschaftskrise ausgelöst. Diese Wirtschaftskrise zieht weitere tiefgreifende Folgen für die öffentlichen Haushalte und damit für die Handlungsfähigkeit der Politik in den kommenden Jahren nach sich.

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass wir gut beraten, sind die Warnungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ernst zu nehmen. Auch vor dieser Pandemie gab es – vor allem im Nachgang der SARS-Krise zu Anfang des Jahrhunderts – entsprechende Warnungen und Szenarien, die jedoch nicht zu den entsprechenden Vorsorgemaßnahmen und Notfallplänen geführt haben, die uns in der aktuellen Krise besser geschützt hätten. Mit den Warnungen  der Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zu den Risiken eines fortschreitenden Klimawandels dürfen wir nicht genauso umgehen.

Schon heute werden die ersten Schäden einer zunehmenden Klimaerwärmung deutlich.  Die Waldbrände in Kalifornien und Australien oder die aktuelle Heuschreckenplage in Ostafrika sind unter anderem auf die Veränderung des Klimas zurückzuführen. Die Corona-Pandemie hat zudem gezeigt, wie schnell sich Wirkungen in einem Lebensbereich, in diesem Fall dem Gesundheitssystem, auf die gesamte Gesellschaft ausbreiten und bisher selbstverständliche Gewohnheiten und Lebensstile in Frage stellen können.

Die Corona-Krise sollte also ein Weckruf sein, dass wir nun sehr schnell auf eine klimaneutrale Wirtschaft umsteuern müssen, um unseren Wohlstand und unsere Lebensweise zu erhalten. Darüber hinaus sollte sie unser Augenmerk noch stärker als bisher auf die Notwendigkeit einer sehr intensiven Klimaanpassungspolitik lenken. Wir müssen eben nicht nur die Treibhausgase schnell und deutlich reduzieren, um den Klimawandel zu verlangsamen - denn aufhalten lässt er sich nicht mehr. Wir müssen uns auch durch gezielte Maßnahmen vor seinen möglichen Folgen schützen, um Krisen dieser Art zu vermeiden.

Resilienz: Das Energiesystem durch mehr Dezentralität robuster machen

Auch im Energiebereich sollten wir die Krise zum Anlass nehmen uns zu fragen, wie gut wir vor systemischen Krisen dieser Art geschützt sind und in die Resilienz unserer Versorgungsstrukturen investieren. Im Rahmen des Aufbaus eines klimafreundlichen Stromsystems auf der Basis erneuerbarer Energien haben wir die Möglichkeit gezielt entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Das heißt zum einen, dass wir bei der Gestaltung dieses neuen Stromsystems nicht nur auf Kosteneffizienz achten, sondern auch gewisse Redundanzen einplanen sollten, um systemische Krisen möglichst zu vermeiden.

Darüber hinaus kann ein gewisser Grad an Dezentralität dafür sorgen, dass wir auch im Fall einer Krise eine gewisse Grundversorgung auf regionaler Ebene gewährleisten können. So kann im Rahmen einer Krise die Grundversorgung mit Strom sichergestellt und damit auch der Ausbreitung auf andere Lebensbereiche vorgebeugt werden. Forschung am IASS hat gezeigt, dass eine regionalisierte Versorgungsstruktur auf Basis von erneuerbaren Energien nicht signifikant höhere Kosten mit sich bringen würde als eine Struktur, die stark auf Erzeugungszentren an den günstigsten Produktionsstandorten setzt. Die europäische Vernetzung ist auch in einem stärker regional ausgerichteten Szenario ein wichtiger Baustein und soll nicht in Frage gestellt werden. Sie kann aber mit dem Aufbau einer regionalen Versorgungsstruktur einhergehen und damit die Resilienz des Stromsystems stärken.

Ebenso lohnt es sich, über den Erhalt bzw. die Wiederbelebung einer europäischen Produktion von Solarmodulen und anderen Komponenten zu diskutieren. Die Krise in China hat signifikante Lieferengpässe im Bereich der Solarenergie erzeugt, die die Abhängigkeit Europas von diesen Importen noch einmal herausgestellt haben. Auch hier sollte man nicht die Kostenvorteile einer globalen Arbeitsteilung außer Acht lassen. Gleichzeitig könnte der Wiederaufbau einer europäischen Industrie aber sicherstellen, dass eine gewisse Kapazität und damit auch das notwendige Know-how in Zukunft in Europa erhalten bleiben. Auch das stärkt die Resilienz unserer Stromversorgung und damit unseres Wirtschaftssystems.

Solidarität: Energiegenossenschaften schaffen solidarische Strukturen im Stromsektor

Die Corona-Krise hat schließlich deutlich gemacht, dass wir für den Erhalt unserer Gesellschaft auch auf die Solidarität der Menschen angewiesen sind. Ohne das solidarische Handeln der gesamten Bevölkerung ist es nicht möglich, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und damit unser Gesundheitssystem vor einer starken Überlastung zu schützen. Auf europäischer Ebene kamen und kommen die Hilfsbemühungen leider nur sehr schleppend in Gang. Durch eine schnelle, solidarische Reaktion der EU hätten die fatalen Folgen der Krise beispielsweise in Italien stärker abgefedert werden können. Stattdessen wurde in Deutschland und anderen EU-Ländern zeitweise sogar ein Ausfuhrstopp für medizinische Ausrüstung verhängt. Das hat auch Spuren in der Bevölkerung und in der Politik dieses Landes hinterlassen, die die Voraussetzung für die europäische Zusammenarbeit weiter erschweren werden.

Umso wichtiger ist es, dass wir für die Zukunft auf europäischer Ebene eine entsprechende Solidarität weiter fördern und noch fester in den Strukturen verankern. Doch auch auf nationaler und lokaler Ebene können wir entsprechende Strukturen aufbauen. Mit den Energiegenossenschaften haben wir im Energiesektor ein bestehendes und funktionierendes Instrument, das genau diese Prinzipien verkörpert. Auch hier sollten wir die Lehren der Corona-Pandemie aufgreifen und diese Strukturen in Zukunft wieder verstärkt fördern. Dazu gehört zum Beispiel die Umsetzung der europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie des Jahres 2018. Diese sieht unter anderem die Möglichkeit des „energy sharing“ vor. Dabei handelt es sich um die gemeinsame Nutzung  des gemeinschaftlich erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien im Rahmen sogenannter Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften.

Medien

Rainer Quitzow: Welche Folgen hat die Coronakrise für die Energiepolitik?

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