Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Lehren aus der Corona-Krise für eine nachhaltige Krisenbewältigung

20.04.2020

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Corona-konforme Freizeitgestaltung in Potsdam.
Corona-konforme Freizeitgestaltung in Potsdam.

Überwiegend Besonnenheit

Die deutsche Gesellschaft hat in der Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis heute keine so schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Herausforderung wie diese weltweit grassierende  Pandemie erlebt. Zwar sind die gesundheitlichen Implikationen und erst recht nicht die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen zum jetzigen Zeitpunkt vollständig zu überschauen, aber die bisher schon durchgeführten Maßnahmen und Vorschriften sind in ihrer Strenge und ihren Auswirkungen auf das Leben aller Bürgerinnen und Bürger einzigartig in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Aus psychologischer Sicht sind Epidemien immer stark mit Angst besetzt. Die Gefahren lauern überall und dringen quasi heimtückisch in die Gesellschaft und in jedes Individuum ein. Zudem ist trotz aller Simulationstechnik der Verlauf der Epidemie schwer vorhersehbar und stößt erst recht an Grenzen der Steuerbarkeit. Dort aber, wo Menschen Kontrollverluste wahrnehmen, haben Angst, Verunsicherung und Aggression einen fruchtbaren Nährboden. Gleichzeitig wächst gerade bei den Menschen, die auf Bedrohungssituationen vorwiegend mit kämpferischen Gegenmaßnahmen reagieren, der Hang zu aggressiven Handlungen gegenüber Ersatzobjekten, weil der eigentliche Aggressor, das Virus, nicht direkt von ihnen angegriffen werden kann.

Dennoch ist es bemerkenswert, dass zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland besonnen und abgewogen auf die Krise reagiert haben, die Verhaltensregeln weitgehend einhalten und die Beschränkungen ohne Protest akzeptieren. Diejenigen, die sich lautstark dagegen wehren oder durch aggressive Handlungen egoistische Vorteile erkämpfen wollen, sind nach allem, was wir wissen, eine Minderheit.Allerdings ist diese Bereitschaft, Einschränkungen zu akzeptieren, nicht auf Dauer angelegt. Es kann durchaus sein, dass sich nach dem Abflauen der Krise die zurückgehaltenen Ängste und Aggressionen neue Ersatzobjekte suchen.

Gefahr der Instrumentalisierung durch extreme Gruppen

Verschiedene Gruppen in der Gesellschaft werden aller Voraussicht nach versuchen, aus der Krise politischen Gewinn zu schlagen. In Deutschland ist dies bei den staatstragenden politischen Parteien bislang kaum der Fall, was mit dazu beigetragen hat, dass das Vertrauen in die politische Elite in Deutschland im Verlauf der Krise signifikant angestiegen ist.  Dennoch lassen sich zwei für die Gesellschaft gefährliche Tendenzen erkennen:

  • Zum einen die Instrumentalisierung der Corona-Krise durch die rechten Bewegungen. In ihrer Lesart sind vor allem die Globalisierung, die Aufnahme von Flüchtlingen und die Entwicklung hin zu einer toleranten multikulturellen Gesellschaft an dieser Krise schuld. Das Risiko besteht, dass sich eine starke Bewegung hin zu Renationalisierung und zu Entsolidarisierung mit anderen Ländern, kurzum zu einer auf die eigene Nation ausgerichteten Abschottungspolitik entwickelt. Um dieser möglichen Tendenz entgegenzuwirken, ist es besonders wichtig, schon während der Krise die überstaatliche Zusammenarbeit in der Krisenbewältigung, die Notwendigkeit globaler Forschung, etwa zur Entwicklung eines Impfstoffes, und die besonderen Vorzüge internationaler und globaler Identität und Solidarität zu betonen. Damit lässt sich völkischen und nationalistischen Tönen effektiv entgegenwirken.  
  • Zum anderen wird vom linksextremen Spektrum die jetzige Krise dazu genutzt, das Virus als Folge eines gnadenlosen Kapitalismus und der liberalisierten Weltwirtschaftsordnung zu sehen. Hier wird eine enge Beziehung zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise, den Tiermärkten in China, dem internationalen Handel und den angeblich nur auf Profit ausgerichteten Aktivitäten der Großkonzerne hergestellt. Dabei wird bei aller berechtigten Kritik an kapitalistischen Auswüchsen übersehen,  dass gerade markwirtschaftliche Systeme in Krisenzeiten auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der privaten Akteure bauen können. Es gibt inzwischen viele Beispiele, wie global agierende Unternehmen ebenso wie kleine und mittelständische Unternehmen kreative und innovative Aktivitäten entfaltet haben, um wirkungsvolle Lösungen und Auswege aus Engpässen als Folge der jetzigen Krise zu entwickeln.

Zwar hat der demokratische Staat  nicht die durchschlagenden Eingriffsmöglichkeiten auf das individuelle Verhalten wie die autoritären Regime etwa in China. Aber demokratische und marktwirtschaftliche Systeme im Verbund können wesentlich flexibler, kreativer und auch effizienter gegen Bedrohungen vorgehen. In der Pluralität und Vielfältigkeit liegt die Stärke Europas. Gleichzeitig liegen in der erfolgreichen Krisenbewältigung auch Chancen: etwa zur stärkeren Ausrichtung der wirtschaftlichen Leistungen auf nachhaltige Produktionsverfahren, Produkte und Dienstleistungen sowie zum Aufbau von resilienten Infrastrukturen als Vorsorge gegen künftige Bedrohungen.

Wiederbelebung der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit

Von überall her schallt der Ruf, durch staatliche Unterstützung die brach liegende Wirtschaft neu zu beleben und große staatlich finanzierte Investitionsprogramme aufzulegen.  Aber wenn schon Steuergelder für diese Belebung eingesetzt werden, dann sollte der Staat als Hüter des Gemeinwohls mitbestimmen können, in welche Richtung die Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Krise gehen soll: Die Energiewirtschaft muss weiterhin auf den Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien ausgerichtet bleiben, die Industrieproduktion muss bis spätestens 2050, besser noch früher, auf klimaneutrale Produktionsverfahren umgestellt haben und  die Landwirtschaft sollte ein ehrgeiziges Programm zur Reduktion klimaschädlicher Gase und zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Böden auflegen. Schließlich könnte auch die Tourismusindustrie auf mehr Ökotourismus und nachhaltige Mobilität setzen. Denn es ergibt wenig Sinn, die globale Krise durch das Coronavirus durch Investitionen zu bekämpfen, die Öl ins Feuer nach wie vor bestehender globalen Krisen, wie den Klimawandel, gießen. Mit Beelzebub treibt man nicht den Teufel aus.

Zu einer nachhaltigen Neuausrichtung nach der Coronakrise  gehört die Solidarität mit den Schwachen und Benachteiligten. Es gilt deshalb, den Personen mehr Anerkennung, Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die besondere Leistungs- und Aufopferungsbereitschaft im Gesundheitswesen und der kritischen Infrastruktur gezeigt haben, sowie Solidarität mit den Personen aufzubringen, die durch die Krise in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. Die Verbindung von marktwirtschaftlicher Flexibilität und Effizienz sowie von politischer und gesellschaftlicher Solidarität und Empathie ist für die Bewältigung der Krise essentiell.

Ortwin Renn im Bayerischen Rundfunk zu den Folgen der Pandemie

Wandel der Lebensstile?

Im Hinblick auf mögliche Veränderungen der Lebensstile wird es sicherlich interessant sein, ob ein Teil der Einschränkungen und der unfreiwilligen Selbstgenügsamkeit nach der Krise freiwillig fortbestehen werden. Zum einen ist ein Trend zur Genügsamkeit aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit durchaus begrüßenswert, zum anderen ist gerade die geschwächte Wirtschaft nach der Krise auf vermehrte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen angewiesen. Bei den bisherigen weniger einschneidenden Krisen, wie zum Beispiel die BSE-Krise, waren die Verhaltensänderungen nur von kurzer Dauer (etwa vegetarisch zu essen). Wenn aber die Krise um das Coronavirus länger anhält, können sich auch neue Routinen ausbilden, die sich im Verlauf der Krisenbewältigung Stück für Stück verselbständigt haben. Hier wäre es sicher sinnvoll, Formen des nachhaltigen Konsums (etwa im Bereich der Energieversorgung, der Ernährung und der Mobilität) durch staatliche Anreize zu fördern. Das fängt mit dem Ausbau von Fahrradwegen an und könnte mit finanziellen Unterstützungen für den Austausch von älteren Dieselfahrzeugen gegen Elektrofahrzeuge enden. Solche Programme sollten schon jetzt vorbereitet werden, damit sie gleich nach Beendigung der Krise in Kraft treten können, wo die Erinnerungen an genügsamere Lebensstile noch wach sind.

Menschliche Gesellschaften haben sich in vielen Phasen der Geschichte flexibel und adaptiv auf neue Bedrohungen eingestellt. Unsere heutige Gesellschaft hat sich aufgrund der weltweiten Verflechtungen, der komplexen Wirkungsketten und der hohen gegenseitigen Vernetzung zunehmend verwundbar gemacht, was jetzt schmerzliche Umstellungsprozesse zur Folge haben wird. Von daher wird es notwendig sein, in Zukunft sehr viel stärker in den Ausbau resilienter Systeme, sozialer Vor- und Fürsorgeinrichtungen sowie der Nachhaltigkeit verpflichteter Produktionsprozesse zu investieren, um für zukünftige systemische Risiken besser gewappnet zu sein.

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