Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Gedanken zur Digitalagenda des Bundesumweltministeriums

11.06.2019

"Jedem Algorithmus muss Umweltschutz eingepflanzt werden", fordert Bundesumweltministerin Svenja Schulze.
"Jedem Algorithmus muss Umweltschutz eingepflanzt werden", fordert Bundesumweltministerin Svenja Schulze.

Das Thema Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung ist (endlich!) in einer breiteren Öffentlichkeit angekommen. Als das IASS vor fünf Jahren mit einem Forschungsvorhaben zu Digitalisierung startete, waren es nur vereinzelte Forscherinnen und Forscher, die sich über das Verhältnis von digitalem Wandel und Nachhaltigkeit Gedanken machten. Vor allem im letzten Jahr hat die Zahl an Veröffentlichungen und Veranstaltungen zu diesem Thema jedoch spürbar zugenommen.

Im April dieses Jahres stellte dann der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) sein Hauptgutachten mit dem Titel „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vor. Wenige Wochen später war auf der re:publica das Duo Digitalisierung und Nachhaltigkeit nicht mehr wegzudenken. Dort präsentierte Bundesumweltministerin Svenja Schulze erstmals ein Eckpunktepapier für eine umweltpolitische Digitalagenda.

Nun sind diese Entwicklungen noch kein Grund zur Euphorie. Das Eckpunktepapier der Bundesumweltministerin könnte jedoch den Auftakt dafür geben, dass sich die Politik diesen beiden großen Herausforderungen endlich verstärkt gemeinsam widmet – fand man Nachhaltigkeit bisher doch nur in homöopathischen Dosen in der Digitalen Agenda der Bundesregierung wieder. Auf acht Seiten skizziert das Bundesumweltministerium (BMU) in zehn sogenannten Thesen ein Potpourri an Überlegungen, wie Digitalisierung in den Dienst der Nachhaltigkeit gestellt werden könnte. Ohne auf jedes Detail einzugehen, soll dieser Beitrag einen Blick darauf werfen, was das Papier zu vier zentralen Aspekten sagt – und was nicht:

1) Direkte Umweltauswirkungen digitaler Technologien

Als direkte Auswirkungen auf die Umwelt kann der ökologische Fußabdruck von Entwicklung, Produktion, Gebrauch und Entsorgung digitaler Technologien verstanden werden. Dabei geht es nicht nur um Hardware, sondern auch um Software. In diesem Sinne regt das Eckpunktepapier die Entwicklung von Kriterien für ressourceneffiziente Software und ein Gütesiegel für umweltgerechte KI an. Auch thematisiert es die Ausweitung der EU-Öko-Designrichtlinie und die Prüfung einer neuen europäischen IT-Designrichtlinie, durch die Ressourceneffizienz, ein Recht auf Reparatur und Datensuffizienz zusammengebracht werden könnten. Gleichzeitig will das Ministerium nationale und europäische Gesetzgebung dahingehend überprüfen, wie der illegale Export von Elektroschrott nach Afrika effektiver verhindert werden kann.

Das alles sind wichtige Aspekte, um den ökologischen Fußabdruck digitaler Technologien zu begrenzen. Abgesehen davon, dass sich hier jedoch weitläufige Interpretationsspielräume auftun (etwa: Was versteht das Ministerium unter „umweltgerechter KI“?), darf bei einer reinen Betrachtung von Effizienz in Design und Produktion nicht Schluss sein. Bei der Erwähnung des Rechts auf Reparatur schimmert die Mahnung nach einem suffizienteren Umgang mit digitalen Technologien schon durch. Doch hätte dieser Aspekt aus Nachhaltigkeitsperspektive noch wesentlich mehr Raum verdient. Digitale Technologien werden zudem so lange nicht nachhaltiger, wie bspw. die Erzeugung von Energie und der Abbau von Seltenen Erden und anderen Rohstoffen – der zu einem großen Teil in Ländern des Globalen Südens stattfindet – mit hohen Kosten für Mensch und Umwelt einhergehen. Maßnahmen zur Eindämmung negativer direkter Umwelteffekte müssen daher die gesamte Wertschöpfungskette digitaler Technologien berücksichtigen und – im Sinne einer globalen Umweltpolitik – auch die globale Dimension adressieren.

2) Einsatz von digitalen Technologien für die Umwelt

Auf zwei Ebenen skizziert das Eckpunktepapier, wie der Einsatz von digitalen Technologien einen Beitrag zum Erhalt der Umwelt leisten kann: zum einen als „Ermöglicher“, um bspw. Verkehr, industrielle Produktion und Energieerzeugung (Stichwort Energiewende) effizienter und damit nachhaltiger zu gestalten. Dazu kündigt das Ministerium unter anderem die Förderung von 50 Leuchtturmprojekten und die Unterstützung von öko-innovativen Startups an. Eng damit verknüpft ist die zweite Ebene, welche die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Erhebung umweltbezogener Daten und deren Einsatz bspw. für das Monitoring von Biodiversität umfasst. Damit könnten nicht nur Landwirte, sondern auch Vollzugsbeamte in ihren Bemühungen für den Umweltschutz unterstützt werden. Ein wirkliches Highlight ist die Ankündigung einer Umweltdatencloud, die in den nächsten Jahren aufgebaut werden soll.

Dieser Markt der Möglichkeiten bleibt im Eckpunktepapier jedoch weitgehend vage. Man wüsste gerne mehr über die Cloud und wie die Umweltbehörden dafür „fit gemacht“ werden sollen – und vor allem, welcher Zeithorizont dem BMU dafür vorschwebt. Auch darüber, wie die Themen angegangen werden sollen, die unter die Verantwortung anderer Ressorts fallen – allen voran die Verkehrs- und Energiewende – findet man im Eckpunktepapier wenig. Nun überrascht das nicht, denn Eckpunkte spannen in der Regel erst einmal leere Flächen auf. Es wäre zu wünschen, dass das Eckpunktepapier den Anstoß gibt, diese im Dialog mit den anderen Ministerien mit konkreten Aktivitäten und Maßnahmen zu füllen. Aber auch hier ist es zwingend erforderlich, dass der Beitrag der Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit nicht allein mit Effizienzgewinnen übersetzt wird.  

3) Governance für eine nachhaltige Digitalisierung

Gleich eingangs stellt das Eckpunktepapier die Digitalisierung in eine Reihe mit Globalisierung und Klimawandel als den zentralen Herausforderungen, die es auf nationaler, europäischer und globaler Ebene zu bewältigen gebe. Es verweist zudem darauf, dass Digitalisierung neue Fragen in Bezug auf die zukünftige Verteilung von politischer und ökonomischer Macht aufwirft, und fordert eine Trendwende in der Digitalisierung, damit sich diese nicht – wie es der WBGU in seinem Gutachten formulierte – zu einem Brandbeschleuniger für ökonomische, soziale und ökologische Krisen verwandelt. Auf internationaler Ebene möchte das Ministerium das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit daher stärker in die Klimakonferenzen einbringen und plant, es während der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 auf die europäische Agenda zu setzen.

Jedoch geht das Eckpunktepapier nicht genauer darauf ein, wie die Mammutaufgabe einer nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung auf nationaler Ebene bewältigt werden soll. Zwar fordert es, die Umsetzungsstrategie der Bundesregierung für den digitalen Wandel einer Klimafolgenabschätzung zu unterziehen. Nachhaltigkeit könnte als nachgelagertes Prüfkriterium jedoch leicht zum Sahnehäubchen der Digitalstrategie werden – nicht zu ihrer grundlegenden Zutat. Außerdem ist die gesamte Regierung gefordert, damit der – wie es das Papier nennt – kluge Ordnungsrahmen entstehen kann, der Digitalisierung Ziel und Richtung geben soll. Hier darf man gespannt sein, ob und wie die Ministerien auf die umweltpolitische Digitalagenda reagieren und das Thema Nachhaltigkeit in ihre Strategien integrieren. Auch bleibt die Frage unberührt, welche Formen von Governance es braucht, um in diesem komplexen Themenfeld gesamtgesellschaftlich gute und tragfähige Lösungen zu finden.

4) Capacity-Building für eine nachhaltige Entwicklung

Schließlich wendet sich das Eckpunktepapier an verschiedenen Stellen den Kapazitäten zu, die es braucht, um eine nachhaltigere Digitalisierung voranzubringen: mehr Bildung (inkl. mehr Nachhaltigkeitsbildung für zukünftige IT-Profis), mehr Forschung, mehr Innovation. Dabei sticht unter anderem heraus, dass gleich zwei neue Institutionen ins Gespräch gebracht werden: eine Innovationsagentur zur Entwicklung „digitaler-sozialer Lösungen von Nachhaltigkeitsproblemen“ und ein neues Forschungsinstitut für Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Über Sinn und Unsinn eines neuen Forschungsinstituts ließe sich lange streiten. Über die Notwendigkeit einer klaren Forschungsagenda nicht: Die braucht es unbedingt, um Gelder und Köpfe sinnvoll für Forschung für eine nachhaltige Digitalisierung einzusetzen. Dabei wird auch der Weg hin zu dieser Forschungsagenda entscheidend sein: Wie und durch wen werden die drängenden Fragen unserer „gemeinsamen digitalen Zukunft“ identifiziert? Zu möglichen Forschungsinhalten, bspw. auch im Rahmen der angekündigten gemeinsamen Forschungsagenda mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), liest man in dem Eckpunktepapier jedoch wenig Konkretes. Klar wird jedoch, dass es dabei nicht nur um technische Fragen und Lösungsansätze gehen wird, sondern auch um die Entwicklung neuer sozial-ökologischer Gesellschaftsmodelle. Gerade diese Fragestellung würde sich anbieten, um einmal über die Rahmenbedingungen und Strukturen zu reden, die Forschung benötigt, um hierfür belastbare Ergebnisse zu liefern.

Viel könnte zu dem Eckpunktepapier noch gesagt werden, aber um mit einem kurzen Fazit abzuschließen: Die Bandbreite an Themen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die es berührt, gibt dem Eckpunktepapier etwas sehr Umfassendes und zeigt, dass das Ministerium sein Ohr an der aktuellen akademischen Debatte in diesem Feld hatte (und hoffentlich auch in Zukunft weiter haben wird). Diese Fülle kann sich jedoch auch als Problem entpuppen, nämlich dann, wenn aus diesem bunten Strauß nur kleinteilige Aktivitäten sprießen (Stichwort Hackathons) und keine kohärente, ressortübergreifende Strategie für die Gestaltung der Digitalisierung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erwächst. Um dort anzukommen, braucht es einen lebhaften, kritischen und gerne kontroversen Austausch darüber, was wir unter Digitalisierung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung verstehen und wie wir sie aktiv gestalten wollen.

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