Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Schluss mit den Schuldzuweisungen: Russland hört den Weckruf des Klimawandels

06.09.2017

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Vilena Valeeva

Bei meinem letzten Besuch in Russland schaute ich russisches Fernsehen – nach gängiger Meinung ein schrecklicher Hort der Propaganda und Desinformation. Erstaunt stellte ich aber fest, dass ein staatlicher (also von der Regierung kontrollierter) Sender zur besten Sendezeit über den Klimawandel berichtete. Ebenso überraschend fand ich, dass die üblichen Verschwörungstheorien – die globale Erwärmung sei ein Betrugsmanöver, von westlichen Politikern erfunden, um Russland zu schaden – in dem Beitrag fehlten. Nein, es war ein ziemlich guter Bericht, der den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der zunehmenden Häufigkeit von Extremwetterereignissen erklärte. Ich bemerkte sogar Klimadiagramme und die vertrauten Gesichter glaubwürdiger russischer Klimawissenschaftler.

Hauptanliegen des Berichts war, die lebensgefährlichen Stürme und den in Moskau dieses Jahr praktisch ausgefallenen Sommer zu erklären. Tatsächlich spielt das Wetter in vielen Regionen Russlands zurzeit verrückt, sodass niemand mehr um das Klimathema herumkommt – nicht einmal russische Fernsehmacher. In den vergangen Jahren haben Waldbrände in Sibirien, Überschwemmungen im Süden Russlands und Methanexplosionen in der arktischen Tundra die Klimafrage in die Schlagzeilen von Rundfunk und Printmedien gebracht.

Ein großer Schritt für Russland

Aber es sind nicht nur die russischen Medien, die sich in jüngster Zeit mit dem Klimawandel beschäftigen. Im Mai/Juni 2017 fand zum ersten Mal die sogenannte Allrussische Klimawoche statt. Die Klimawoche, die in Wirklichkeit einen Monat dauerte, war ein Riesenprojekt mit 422 Veranstaltungen in ganz Russland mit dem Ziel, „die Öffentlichkeit über Klimaschutzaktivitäten in Russland zu informieren und die Aufmerksamkeit auf den globalen Klimawandel zu lenken“.

Interessanterweise wurde die Woche von der Ressortübergreifenden Arbeitsgruppe zu Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung unter der Verwaltung des Präsidenten der Russischen Föderation initiiert. Das mag nun für deutsche Ohren nicht sonderlich beeindruckend klingen, bedenkt man die ehrgeizigen deutschen Klimaziele und -initiativen, aber für Russland ist das ein großer Schritt. Vor zehn Jahren, als der Klimawandel noch ein Nischenthema war, für das sich nur ein paar Enthusiasten interessierten, wäre so viel staatliche Aufmerksamkeit für das Thema nicht denkbar gewesen. Wenn man damals das Thema anschnitt, so meine Erfahrung, fingen die Leute an zu lachen und redeten über den Anbau von Bananen in der Tundra. Heute wird das Thema ernster genommen.

Natürlich existieren immer noch zahlreiche Probleme in Russland bezüglich Klimapolitik und nachhaltiger Entwicklung, und für Verbesserung gibt es viel Luft nach oben. Es wäre naiv, von einem Land, für das fossile Brennstoffe die Haupteinnahmequelle darstellen, einen raschen Sinneswandel und umgehende Maßnahmen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu erwarten. Es überrascht kaum, dass sich – zum Beispiel im Hinblick auf eine Politik für die postfossile Zukunft – die Lage in Russland nur langsam ändert. Aber sie ändert sich.

Russlands post-fossiles Potenzial

Die russische Proklima-Koalition wächst langsam, aber stetig, und ihr gehören Vertreter aus Staatsministerien, der Geschäftswelt, NGOs und Denkfabriken an. Postfossile Optionen für Russland werden ebenfalls diskutiert, aber hauptsächlich unter Liberalen, Umweltschützern und Akademikern. Seit dem Einbruch des Ölpreises 2014 wächst aber auch unter russischen Beamten und Politikern die Einsicht, dass tiefgreifende Reformen unumgänglich sind, um die russische Wirtschaft zu diversifizieren.

Russland ist nach wie vor unglaublich reich an natürlichen Ressourcen, und die Frage, wie diese Ressourcen nachhaltig genutzt werden können, wird inzwischen öffentlich diskutiert. Die Debatte umfasst Themen wie erneuerbare Energien, nachhaltige Landwirtschaft und nachhaltigen Tourismus. Da Russland ein Tummelplatz kluger Leute ist, schlagen russische Wirtschaftswissenschaftler häufig vor, die Zukunft der Volkswirtschaft auf die digitale Ökonomie und technologische Innovationen aufzubauen. Das Land hat das wissenschaftliche und technologische Potenzial und auch die personellen Kapazitäten, um diese Vision zu realisieren.

Hoffnung auf Veränderung

Offensichtlich sind diese Debatten und Entwicklungen für Menschen, die nicht russisch sprechen, weniger sichtbar. Leider sind es Wladimir Putins Urlaubsbilder oder schreckliche Dinge wie die Yukos-Affäre, die es in die englischsprachigen Nachrichten schaffen. Es ist also verständlich, dass viele mit dem Finger auf Russland deuten und Schreckensszenarien für die Zukunft des Landes skizzieren. Ein Paradebeispiel war der kürzlich erschienene Beitrag meines Kollegen R. Andreas Kraemer auf diesem Blog, der mich veranlasst hat, diesen Eintrag zu schreiben. Anders als Andreas andeutet, kann Russland nicht auf Wladimir Putin, seine Entourage und die Oligarchen reduziert werden. Eine ganz neue Generation ist herangewachsen, was dieses Jahr deutlich wurde, als viele junge Menschen an den Anti-Korruptionsprotesten in ganz Russland teilnahmen. Diese jungen Russen verabscheuen Korruption, und sie wollen Reformen, sie sind offen für Europa und europäische Werte, und sie wollen in Russland und im Ausland gehört werden. Sie versprechen positive Veränderungen in Russland hin zu Nachhaltigkeit, Effizienz und friedlichen Absichten.

Schuldzuweisungen sind keine Lösung

Auf jeden Fall sind Schuldzuweisungen keine gute Idee, vor allem in Zeiten, in denen der „Westen“ selbst zahlreiche Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen hat – wobei die vielen von Donald Trump angekündigten unnachhaltigen Maßnahmen nur das offenkundigste Beispiel sind. Beim Kampf gegen den Klimawandel, der Umstellung auf erneuerbare Energien und der Veränderung des Konsumverhaltens der Menschen haben wir, zumal in den entwickelten und hochindustrialisierten Ländern Westeuropas und Nordamerikas, noch eine Menge Hausaufgaben zu machen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen tragen nur zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen bei, und es ist wichtig, Chancen für die Zusammenarbeit zu wahren. Nachhaltige Entwicklung hat sich als sehr förderlich für die Zusammenarbeit erwiesen. Trotz aller Herausforderungen und Krisen kooperiert Russland nach wie vor im Rahmen der UNFCCC, des Arktischen Rats und der Barentskooperation. Diese Plattformen betrachtet Russland als neutralen Boden, auf dem das Land seine Isolation überwinden und mit dem Westen zusammenarbeiten kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass angesichts der riesigen Fläche und seiner energieintensiven Industrie die Anstrengungen Russlands in Richtung einer umweltfreundlicheren Wirtschaft für die globalen Nachhaltigkeitsbemühungen sehr wichtig sind. Aus diesem Grund ist es unverzichtbar, Russland bei der globalen Nachhaltigkeits-Governance mit an Bord zu behalten.

Kooperation und offener Dialog

Die Zusammenarbeit mit Russland sollte sich nicht auf die zwischenstaatliche Ebene und Unternehmenskontakte beschränken. Die globale Zivilgesellschaft und die wissenschaftliche Gemeinschaft spielen ebenfalls eine Rolle und tragen bereits zur Entwicklung der Beziehungen mit Russland auf dem Feld der Nachhaltigkeit bei. Ein kleines Beispiel ist das Blue-Action-Projekt, bei dem das IASS gemeinsam mit russischen Partnern eine Fallstudie zur russischen Arktis durchführt. Bei einer Reihe von Projektworkshops werden russische und internationale Akteure nicht nur zu besseren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Arktis beitragen, sondern sich auch darauf vorbereiten, sich in der Zusammenarbeit gemeinsam den zahlreichen Herausforderungen zu stellen, die mit der ungewissen Zukunft der Arktis zusammenhängen. Wir sehen dieses Projekt als erstklassiges Beispiel für transformative Wissenschaft, die dank ihrer Kontakte zu wichtigen Akteuren – aus Russland und anderen Ländern – für eine nachhaltigere Zukunft arbeiten kann.

Foto oben: istock/wastesoul

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